Aphasie

 

Zu den Urvätern der Aphasieforschung zählen bis heute die Herren Broca und Wernike

Pierre Paul Broca wurde am 28.06-1824 in dem kleinen Ort (Sainte-Foy-la-Grande) in der Nähe von Bordeaux geboren.

Dem Beispiel seines Vaters folgend, der als Chirurg in der Armee diente, studiert Broca Medizin in Paris. Noch bevor er sein Studium mit 24 Jahre beendet, tritt er 1847 in die anatomische Gesellschaft und einige Jahre später in die chirurgische Gesellschaft von Paris ein.

Erste wissenschaftliche Verdienste erwirbt sich Broca durch Arbeiten über Krebs, Rachitis und Muskeldystrophie (= degenerative Muskelerkrankung).

Seine wissenschaftlichen Verdienste führen zu einer raschen Karriere im Pariser Krankenhaussystem.

Am 11.04.1861 wird ein Patient namens Leborgne im Krankenhaus Bicetre aufgenommen indem Broca als Chirurg arbeitet.

Leborgne leidet seit seiner Kindheit an Epilepsie, verliert mit 31 Jahren bei erhaltenem Sprachverständnis, die Fähigkeit zu sprechen und entwickelt zehn Jahre später eine rechtseitige Hemiparese mit Sensibilitätsstörung. Er stirbt am 17.04.1861. Broca findet bei der sofort durchgeführten Autopsie eine Schädigung im mittleren Teil des Stirnhirns links.

Am darauf folgenden Tag hält Broca einen Vortrag vor der anthropologischen Gesellschaft in Paris, in dem er behauptet, das die Fähigkeit zu sprechen im Stirnhirn lokalisiert sei. Weitere Autopsieergebnisse überzeugen ihn davon, dass die linke Großhirnhemisphäre dominant für Sprache ist. Diese Überzeugung vertritt er in einem Vortrag, den er am 02.04.1863 in Paris hält.

In einer Arbeit über cerebrale Dominanz, die Broca 1865 veröffentlich, diskutiert er die Möglichkeit, dass eine gesunde rechte Hirnhälfte gestörte (sprachliche) Funktionen der linken übernehmen könne. Diese Kompensationsfähigkeit sei für eine Sprachtherapie zu nutzen die den Prinzipien des Erstspracherwerbs folgen solle. Broca stellt außerdem die Hypothese auf, dass ein kleiner Anteil von gesunden Personen mit einer rechtshemisphärischen Dominanz für Sprache geboren wird.

Im Sommer 1868 reist Broca nach England, wo er sich mit dem Dekan der britischen Neurologen, John Hughlings Jackson, trifft. Broca debattiert mit ihm über verschiedene Formen von Sprachstörungen. Ab 1877 gilt das Interesse von Broca jedoch nicht mehr der Sprache und ihrer Lokalisation im Gehirn, sondern er beschäftigt sich mit der Funktion des limbischen Systems, sowie mit Ausgrabungsfunden von Steinzeitmenschen.

Kurz nachdem Broca in den Senat für Wissenschaft und Medizin gewählt wird, stirb er am 09.07.1880 im Alter von 56 Jahren in Paris an den Folgen einer Herzkrankheit.

Broca geht als der Mann in die Geschichte ein, der sprachlichen Fähigkeiten im Gehirn lokalisiert und zudem die linkshemisphärische Dominanz für Sprache erkannte.

Die Dominanzverhältnisse nach Broca erklären, warum Aphasiker, deren Spontansprache stark reduziert ist, beispielsweise vertraute Lieder dennoch mitsingen können.

Eine weitere wichtige Persönlichkeit in der Aphasieforschung war Carl Wernicke.

Carl Wernicke wurde am 15.05.1848 in Tarnowitzt (Oberschlesien) geboren. Noch bevor er mit 17 Jahren das Abitur besteht, verstirbt sein Vater. Die Absicht seines Vormundes ihn wegen Geldmangels in eine Schlosserlehre zu schicken, scheitert am Wiederstand der Mutter. Entgegen ihrer Wünsche studiert Wernicke jedoch nicht Theologie, sondern Medizin an der Universität Breslau. Dort schließt er im Alter von 22 Jahren sein Studium mit Promotion ab. Anschließend arbeitet er ein halbes Jahr als Assistenzarzt an der Augenklinik in Breslau. An dem Krieg 1870/71 nimmt Wernicke als Chirurg teil. Heimgekehrt wendet er sich jedoch der Psychiatrie zu. Er wird Assistent an der „Irrenanstalt des Allerheiligen-Hospitals“ in Breslau.

Wernicke unterbricht seine Arbeit in Breslau für ein halbes Jahr, um seine Ausbildung bei Professor Meynert in Wien zu vollenden. Von dessen Forschung entscheidend beeinflusst, verfasst Wernicke 1874 ein Buch, das zum Klassiker der Aphasieliteratur wird: „Der aphasische Symptomenkomplex“. Das nur 70 Seiten umfassende Werk gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Teil leitet Wernicke aus den Vorüberlegunden von Meynert den Gedanken ab, dass dem motorischen Sprachzentrum von Broca ein sensorisches gegenüber steht. Damit ist der Sitz der Sprache nicht mehr länger an nur ein Sprachzentrum, sondern an zwei gebunden. Seine theoretischen Überlegungen untermauert Wernicke im zweiten Teil des Buches mit Hilfe von insgesamt 10 klinischen Falldarstellungen. Sie bestätigen in ihrer Symptomatik, dass die Annahme von zwei Sprachzentren gerechtfertigt ist. Mit seiner Konzeption der Aphasien begründet der erst 26-jahrige Wernicke, der Broca vermutlich niemals getroffen hat, eine sich bis heute auswirkende Theorie.

Wernicke verstirbt am 15.06.1905 in Dörrberg(Geratal) an einem Pneumothorax.

In dem Buch „Der aphasische Symptomenkomplex“ legt Wernocke dar, dass Sprache nicht nur im Frontalhirn, sondern auch im Schläfenlappen lokalisiert ist. Zu einer Störung der Sprache kommt es nach Wernicke immer dann, wenn eines der Sprachzentren, die Verbindungsbahnen zwischen ihnen, die zu-oder ableitenden Nervenbahnen oder das gesamte Sprachgebiet, durch eine Läsion betroffen sind. Je nach Ort der Läsion, resultieren unterschiedliche, jeweils charakteristisch klinische Symptome.

 

Quelle: Skript J. Lindner